Try Out Saisonauftakt in Bayern

Nach einer 2jährigen Auszeit fand am 02.03.2019 traditionell der erste Try out des Jahres wieder in Bayern statt, ausgerichtet von der SHG Dachau. 16 Kinder und Jugendliche fanden den Weg in die Sporthalle am Erdweg, um unter der Leitung von Gazi Karaman und Stefan Thurner gemeinsam die Basics des Rollstuhlbasketballs zu lernen. Ein anstrengender aber gelungener Tag, so das Resüme der SportlerInnen und coaches.
Ein herzliches Dankeschön an Julia Pfeiffer für ihre perfekte Organisation, an die coaches sowie unsere Partner Teleflex und Otto Bock für ihre Unterstützung
Jutta Retzer, Kommission 4 im FB RBB
Eine Besucherin unserer Veranstaltung wurde mit dem Virus Rollstuhlbasketball infiziert und hat sich darüberhinaus intensiv mit dem Thema Sport und Inklusion beschäftigt. Sie schreibt:

Fass ohne Boden: Fußgänger auf Neuland

Durch Zufall landete ich im März beim Try Out in Erdweg, das von der SHG Dachau ausgerichtet wurde: Eine Freundin, die in der Branche tätig ist, war beruflich beim Rollstuhlbasketballevent unterwegs – und lud mich kurzerhand ein. Zum einen war ich sehr neugierig, da ich in meiner Jugend selbst Basketball in einer Fußgänger-Mannschaft spielte und anfänglich nicht glauben konnte, dass die Regeln – inklusive die Höhe des Korbes – beim Rollstuhlbasketball (fast) identisch sind. Zum anderen spornte mich die Begeisterung unserer beiden Kinder an, die beim Gedanken daran, in einem Rollstuhl zu fahren, Feuer und Flamme waren.
Ich saß zuvor noch nie in einem Sportrollstuhl und hatte ehrlich gesagt anfangs auch Bedenken: Ist es nicht anmaßend, als Fußgänger dieses medizinische Hilfsmittel zu verwenden? Bitte urteilen Sie nicht zu schnell: Meine Ansicht darüber hat sich im Laufe der nächsten Stunden – und sogar in den nächsten Wochen – sehr verändert.

Von Motivationen und Absurditäten

Während die Kinder in den Rollstühlen begeistert durch die Halle sausten, Wettrennen fuhren, tanzten und versuchten, die für sie doch großen Basketbälle in die Körbe zu bugsieren, ließ ich mich von Julia Pfeiffer von den Sitting Bulls einweisen. Was sind die Regeln, wie koordiniere ich Stuhl und Ball, und vor allem: Wie bekomme ich aus der sitzenden Position den Ball in den hohen Korb? Ich bin nicht sehr groß, war also diesbezüglich stets auf meine Beinkraft angewiesen. Doch der Ehrgeiz hatte mich gepackt, immer wieder übte ich das Dribbeln und versuchte die für mich optimale Position unter dem Korb herauszufinden. Kurzum: Die Begeisterung für den Sport lebte wieder auf, die Erinnerungen an die Freude am Vereinsleben auch. Der Sport rückte jedoch bald in den Hintergrund, als ich mehr über Rahmenbedingungen, Voraussetzungen und Herausforderungen erfuhr.
So gab es einige Punkte, die ich schier nicht begreifen konnte: Wie kann es sein, dass ein Sportrollstuhl erst seit kurzem als medizinisches Hilfsmittel und somit als Kassenleistung gilt? Und warum werden Kinder anders versorgt als Erwachsene, bestimmte Leistungen also mit Eintritt des 18. Lebensjahres entzogen werden können? Warum sind im Alltag häufig neue Kostenvoranschläge, neue Bestätigungen – zum Beispiel Behinderten- oder Parkausweis – und Sonstiges nötig, obwohl viele Behinderungen permanent sind? Menschen mit Handicap und deren Angehörige müssen sich anscheinend immer wieder mit der gleichen Thematik auseinandersetzen, obwohl die täglichen Herausforderungen eigentlich ausreichend wären. Alles irgendwie absurd.

Sisyphos-Arbeit auf politischer Ebene

Das Thema ließ mich nicht mehr los, ich wollte mehr erfahren. Bei einem Inklusions-Themenabend des Bayerischen Journalisten-Verband (BJV) mit Holger Kiesel, dem Behindertenbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung, stellte ich aber ernüchternd fest, dass es im Bereich Inklusion und Co. hierzulande schier unzählige Baustellen gibt. „Es ist eine ziemliche Sisyphos-Arbeit“, beschreibt Kiesel seinen Job. Der Journalist gab seine freie Stelle beim BR auf, um mehr zu bewirken. Denn auch in meinem Berufsstand sieht es mit der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung nicht gerade rosig aus.
Allein die Suche nach geeigneten Räumen in München war für Organisatorin Daniela Albrecht, BJV-Behindertenbeauftrage und stellvertretende Landesvorsitzende, eine Herausforderung. Es gäbe zum einen nicht viele barrierefreie Ausrichtungsorte, zum anderen seien selten Behinderten-WCs vorhanden – so auch nicht beim BJV selbst oder im relativ neu umgebauten Presseclub am Marienplatz. Themen in Redaktionskonferenzen einzubringen gestalte sich ebenfalls schwierig, wenn sie nicht unter den schlagzeilenträchtigen Sparten „Superkrüppel“, „trotz Behinderung“ oder „Mitleid“ aufgehängt sind. Und auch spektakuläre Aktionen, wie die Lichtinstallationen an der Münchner Frauenkirche und dem Rathaus zum 10. Jahrestag der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention, ernten leider nur sehr dürftiges Medienecho.

Die unbekannten Meister

In der Tat sind Inklusions-Themen in den Medien recht selten präsent, aber auch hier gibt es natürlich Best-Practice-Beispiele wie Rudi Cerne, der als Botschafter der Aktion Mensch immer wieder Inklusionsprojekte einem breiten Publikum vorstellt, oder das Förderprojekt „Neue Sporterfahrung“. Wiederrum machte ich auch die Erfahrung, dass es gar nicht so leicht ist, Nachrichten und Informationen über Rollstuhlevents zu finden: Als Beispiel seien hier die Finalspiele des deutschen Pokals genannt, die am 30. und 31. März 2019 in München ausgetragen wurden. Auf den offiziellen Internetseiten steht der Termin zwar im Kalender, genaue Uhrzeiten und Austragungsort jedoch nicht – erst zwei Tage zuvor wurde eine Meldung veröffentlicht, die diese Angaben nannte. Und nur durch Zufall erfuhr ich, dass die Rollstuhlbasketballer aus meiner alten Heimat nicht nur den Bayernpokal ergattern, sondern sich sogar den Titel des bayerischen Meisters der Landesliga sichern und damit in die überregionale Oberliga Süd aufsteigen konnten (an dieser Stelle „Herzlichen Glückwünsch“ an die Rollactive Baskets Oberpfalz!).

Mit und ohne Handicap

Doch ich schweife ab. Es ist aber auch zu einfach, beim Thema Inklusion auf viele offene Fragen und Lücken zu stoßen – und das auf jeder persönlichen und politischen Ebene. Um auf meine Bedenken vom Anfang zurückzukommen: Seit ich mich mehr mit der Thematik beschäftige, umso mehr bin ich von der Idee des Sports, bei dem Menschen mit und ohne Handicap gemeinsam in einer Mannschaft kämpfen, begeistert. Und ich beginne, den Unterschied zwischen Integration und Inklusion nun wirklich zu verstehen. Nicht, dass mir die sprachlichen Bedeutungen fremd gewesen wären, aber erst durch das Erlebnis Rollstuhlbasketball wurden sie „real“, also greifbarer. Es geht nicht nur um Gesetze, Ausgleichsabgaben oder angepasste Menschen. So betonte Holger Kiesel treffend: „Menschen mit Behinderung müssen nicht ans System angepasst werden, sondern das bestehende System an die Menschen.“

Umdenken ist gefragt

Egal, in welcher Position man ist, letztendlich ist die Gesellschaft gefragt und somit jeder Einzelne. Zu denken, die Thematik beziehe sich „nur auf eine Handvoll Rollis“, ist nicht nur engstirnig – in dieser Publikation muss ich nicht erwähnen, wie divers Behinderungen sind –, sondern auch fahrlässig. Denn schließlich kann es jeden treffen – prozentual gesehen sind die meisten Behinderungen nicht angeboren, sondern im Laufe eines Lebens erworben. In unserer alternden Gesellschaft müssten sich also nicht nur unsere Elterngeneration, sondern auch die nachfolgenden Gedanken über die Zukunft machen. Jeder möchte optimal gefördert werden und hat auch ein Recht darauf. So sollte sich jeder die Frage stellen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Inklusive Vereinssportarten wie Rollstuhlbasketball, die mich jedenfalls zum Nachdenken angeregt haben, sind definitiv wirksame Anstöße zu einem nötigen Umdenken.

Autor: Claudia Donald (freie Journalistin)
Bilder-Link: https://c.gmx.net/@329530111298633760/wCi3iLPmSqalN2I8_wYPbA
© Claudia Donald